Die Bretter, die die Welt bedeuten

Wenn man um 4 Uhr morgens an einem Ort ankommt, hat die Suche nach einer Unterkunft realistisch gesehen eher wenig Aussicht auf Erfolg. So verstrichen die Stunden am Bus-Terminal in Trujillo und zwischen Müdigkeit und Langeweile kam mir dann nach geraumer Zeit der Gedanke, die verfügbare Internetverbindung sinnvoll zu nutzen und schonmal nach Hostels zu suchen. Zielort war nicht Trujillo selbst, sondern das gut 10km entfernte Huanchaco. Ausschlaggebend für meine Wahl waren dann nicht etwa die naheliegenden Kriterien Preis, Lage oder Bewertungen. Nein, mich überzeugte die Bemerkung, dass das Check-In bereits um 05:00 Uhr möglich sei. Dem war tatsächlich so. Das Wachaque Surf, das als Unterkunft (mangels jedweder Hinweisschilder am Gebäude) von außen nicht zu erkennen war, stellte sich als absoluter Glücksgriff heraus. Sehr schöne und saubere Räume, der Preis unschlagbar günstig und sogar das Frühstück ist inklusive. Darüber hinaus sind Besitzer Miguel und seine Familie unwahrscheinlich lieb und hilfsbereit und wenn man Glück hat, gibt’s am Abend auch mal nen Cappuccino oder Schokotorte.

Das war es, was ich gesucht habe. Keine „Alles-Easy-Dude“-Surfer-Unterkunft mit Hängematten und total chilliger Atmosphäre. Ich wollte surfen ja, aber auf den klischeehaften Surfer-Lifestyle hatte ich keine Lust. Auch Huanchaco war genau nach meinem Geschmack: Sonnig, mit viel Strand ausgestattet und vor allem nicht überlaufen (was aber anscheinend an der Jahreszeit liegt). So habe ich mich hier für wenig Geld und mit mäßigem Erfolg im Surfen versucht. Verflixt schwer, wie ich finde. Aber selten habe ich mit einer derartigen Motivation und Ausdauer etwas ausprobiert, in dem ich so schlecht war. Doch egal ob man es kann oder nicht, es gibt kaum einen schöneren Ort, um den Sonnenuntergang zu beobachten, als ein Surfbrett. Für mich steht fest, wenn sich das nächste Mal die Gelegenheit ergibt, werde ich weiterüben. Doch für diese Reise war es das mit Strand im Allgemeinen und Surfen im Speziellen.

Viel Zeit bleibt ja nicht mehr. Und auch wenn es durchaus hübsche Strände in Ecuador geben soll, habe ich mich dazu entschlossen, diese nicht anzusteuern und mich stattdessen im Hochland aufzuhalten. Wie’s da so ist, erzähl ich dann beim nächsten Mal.

Stadt, Land, Lagune

Bei Hauptstädten geht man ja grundsätzlich davon aus, dass es viel zu sehen und machen gibt. Was Lima angeht wurde mir diese Erwartungshaltung von anderen Reisenden bereits genommen. „Eine Großstadt eben“, in etwa so könnte man die Statements zu Lima zusammenfassen. Hinzu kam der Hinweis (von zwei Einheimischen) dort besonders vorsichtig zu sein. Gefährlich wurde es aber zu keinem Zeitpunkt. Mit Miraflores hielt ich mich in einem sehr reichen und damit auch entsprechend sicheren Stadtteil auf. In puncto Sightseeing hatte ich mich schon auf eine der bewährten Walking-Tours gefreut. Diese fand jedoch nicht statt. Es tauchte einfach kein Guide am Treffpunkt auf. Das war schade. Somit gabs für mich außer Fastfood-Restaurants, Hochhäusern und ein bisschen Küste nicht viel zu sehen. Schön fand ich allerdings, dass am Sonntag, dem Tag meiner Weiterreise, einige Straßen für Autos gesperrt wurden und diese nur von Joggern und Radfahrern genutzt wurden.

Danach ging es zum wiederholten Male in die Berge. Huaraz war das nächste Ziel. Leider war ich seit Langem mal wieder gesundheitlich etwas angeschlagen, weshalb ich mir eine zweitägige Auszeit verordnete. Viel besser fühlte ich mich danach auch nicht, aber da die Langeweile um sich griff, machte ich eine Tour zur Laguna 69. Jeweils sechs Stunden Fahrt und Wanderung, in der zwar mittlerweile gewohnten aber trotzdem immer noch fiesen Höhe, schienen mir insbesondere beim Aufstieg eine maximal bescheuerte Idee gewesen zu sein. Aber ich bin angekommen und selbstredend hat sich die Quälerei ausgezahlt. Eine Stunde Sonnenbaden (in der Lagune hätte man theoretisch auch baden können aber ich hielt das nicht für klug) und dann ging es zum Glück nur bergab. Die Rückfahrt war dann zwar sehr ungemütlich aber tatsächlich ging es mir am nächsten Tag deutlich besser. Kein Patentrezept gegen Erkältungen zugegebenermaßen, aber in diesem Fall hat es funktioniert.

Nun ist wieder Küste angesagt. Das trifft sich gut, denn eine Sache steht noch auf meiner To-do-Liste: Surfen. Hatte ich schon lange vor und fast genauso lang schiebe ich dieses Thema vor mir her. Aber jetzt ist genug mit der Aufschieberei. Oder um es mit den Sportis zu sagen: „Lass uns Wellenreiten gehen“

Feiner Sand und schöne Frauen

Das Kapitel Cusco war nach dem Besuch von Machu Picchu noch längst nicht beendet. Da draußen sind ja noch weitere Sehenswürdigkeiten aus der Inka-Zeit. Manche davon seien „noch bedeutender, noch größer und noch beeindruckender als Machu Picchu“, meinte ein Tour-Guide. Mit seeeehr großer Skepsis habe ich diesen Satz aufgenommen. Bedeutender? Größer? Nehm ich mal so hin. Ich bin hier ja nicht der Experte. Aber in der dann eher subjektiven Kategorie „beeindruckend“ … da lehnt er sich weit aus dem Fenster. Fand ich jedenfalls.

Dieser Aussage musste folglich auf den Grund gegangen werden. Drei Tage, drei Touren. Alle vollgepackt mit Inka-Stätten. Ein straffes Programm aber man will ja schließlich was sehen. Moray, Puka Pukara, Ollantaytambo und Pisac habe ich mir in diesem Zuge unter anderem angeschaut, um mal ein paar Namen in die Runde zu werfen. Dazu kamen die beiden wichtigsten Orte: Qorikancha und Sacsaywaman. Ja, der letztgenannte Name ist mir schon vor Monaten in einem Gespräch mit einem Texaner untergekommen. Sprecht es mit einem amerikanischen Akzent aus und es wird sich anhören wie: Sexy Woman. Das hat mich damals sehr verwirrt. Ich dachte, der Name des Ortes lässt sich so übersetzen. Aber als ich vor zwei Wochen zum ersten Mal davon gelesen habe, hat es sofort Klick gemacht. Seither zaubert es mir jedesmal ein Lächeln ins Gesicht, wenn ich es höre. Tatsächlich wird dieser Gag bei jeder Tour gebracht, mit dem Hinweis, dass es eben nicht Sexy Woman heißt. Es tut mir leid aber auch bei korrekter Aussprache lässt sich die Assoziation unmöglich verhindern. Soviel dazu.

Was Qorikancha, Sacsaywaman und all die anderen Orte angeht muss ich sagen: Nein, so beeindruckend wie Machu Picchu waren sie nicht. Trotzdem war es schön, sie einmal gesehen zu haben. Und da ich im Gegensatz zu Machu Picchu mit Guides unterwegs war, konnte ich einiges über die Inka erfahren. Ziemlich bemerkenswert wie viel diese beispielsweise von Astronomie oder Landwirtschaft verstanden.

Es folgte eine sehr lange und ungemütliche Busfahrt nach Ica. Erholung von den Reisestrapazen bot einmal mehr König Fußball. Exakt eine Stunde vor Anpfiff des Champions-League-Halbfinals kam ich an. Genug Zeit, um sich einen Platz mit Fernseher und ein paar Snacks zu besorgen. Nachdem in Sachen europäischer Fußball (zumindest für diese Woche) alles erledigt war, konnte ich mich einem Programmpunkt widmen, auf den ich mich schon seit Langem gefreut habe: Sandboarding war geplant. Hierfür ging es ins nahgelegene Huacachina, einer Oase wie sie im Bilderbuch steht. Ein kleiner See und rundherum Palmen und Sanddünen. Sehr hübsch.

Mit dem Strandbuggy ging es dann durch die Wüste und allenthalben ging es wahlweise bäuchlings oder so wie man sich Sandboarden eigentlich vorstellt stehend auf dem Brett den Hang hinunter. Herausragendes Talent würde ich mir dabei nicht attestieren aber einer muss ja schließlich mit spektakulären Stürzen zur Unterhaltung der Gruppe beitragen. Ist natürlich nichts passiert bei diesen Stunts. Aber ich glaube, ich hab immer noch Sand in den Schuhen …

Vom schönsten zweiten Platz meines Lebens

Wie schon in Arequipa ist es mir auch in Puno gelungen, mich fernab der Touristenmassen einzuquartieren. Das hatte aber weniger mit Kalkül als vielmehr mit Bequemlichkeit und einer daraus resultierenden schlechten Informationslage zu tun. So oder so, es ist immer ganz schön, der einzige Gringo in der Gegend zu sein und darüber hinaus lebt es sich auch billiger. Wobei billiger hier relativ zu sehen ist. Man bekommt in diesem Land wahnsinnig viel für sein Geld. Wenn man dann einmal vier Euro für eine Mahlzeit zahlt, hält man das schon für Wucher, aber das nur am Rande.

Puno am berühmten Titicacasee hat als Stadt ziemlich wenig zu bieten. Lohnenswerte Ausflugsziele sind hingegen die Inseln im größten See Südamerikas. Sagt man zumindest. Ich hatte nicht wirlich Lust darauf und hab sie mir nicht angesehen. Insofern waren die beiden Tage in Puno nicht der Rede wert, aber der Vollständigkeit halber wollt ich es mal erwähnt haben. Dafür war mein nächstes Ziel umso spannender. Cusco, im Herzen des peruanischen Hochlands gelegen, ist das absolute Muss für jeden Besucher des Andenstaates. Als unumstrittenes kulturelles Zentrum des Landes lockt die Stadt mit vielen bedeutenden Stätten aus der Zeit der Inkas. Allen voran natürlich: Machu Picchu.

Ein lang gehegter Traum von mir, diesen Ort einmal zu sehen. Nun galt es ihn wahr werden zu lassen. Die Möglichkeiten nach Machu Picchu zu gelangen, sind sehr vielfältig. Es gibt Busse, es gibt Züge, es gibt den Inka-Trail und man munkelt, es sei sogar möglich, einige Streckenabschnitte mit dem Mountainbike oder per Rafting zu bewältigen. Meine Wahl fiel auf die Low-Budget-Variante Bus plus Laufen und ich würde es jederzeit wieder so machen.

Im Detail lief das ganze so ab: Mit dem Bus ging es in gut sechs Stunden von Cusco nach Hydroelectrica. Der Weg dorthin ist wieder einmal nichts für schwache Nerven. Flüsse, die über die Straße führen und Felsen, die über die Straße ragen. Man hat nicht wirklich das Gefühl, dass Fahrzeuge hier verkehren sollten, aber sie tun es und das in beide Richtungen. Und es funktioniert. Von Hydroelectrica aus läuft man entlang der Gleise zwei Stunden lang nach Aguas Calientes, ein Ort, der nur für Machu Picchu und dessen Besucher geschaffen zu sein scheint (und es wahrscheinlich auch ist). Nur Hotels und Restaurants gibt es dort. Aber entgegen meiner Vermutung war es nicht teurer als im Zentrum von Cusco, was vielleicht daran liegt, dass zur Zeit noch nicht Hauptsaison ist.

Ein weiterer gelungener Schachzug meiner Planung bestand darin, zwei Nächte in Aguas Calientes zu verbringen. Einige Tourteilnehmer bleiben lediglich eine Nacht und müssen so am selben Tag, an dem sie Machu Picchu besuchen, wieder zurück nach Cusco. Ich hatte hingegen jeweils einen Tag für Anreise, Machu Picchu und Abreise. Dann kam also mein großer Tag. Aufstehen um 4 Uhr 15. Danach eine Viertelstunde Fußmarsch zum ersten Checkpoint. Dieser öffnet um 5 Uhr seine Tore. Gut ein Dutzend andere waren schon da und bevor der Weg freigegeben wurde, reihten sich noch gut hundert weitere Personen in der Schlange ein.

Kurz nach 5, nun durfte man nach oben. Bei anfangs noch vollständiger Dunkelheit ging es nun steil bergauf. Knapp 40 Minuten Treppensteigen so schnell es Beine und Lunge zulassen und die Belohnung für diese Schinderei: Ich bin an diesem Tag der zweite vor dem Eingang zum Machu Picchu. In diesem Fall freut man sich, dass dort oben nochmal 20 Minuten gewartet werden muss. Zusammen mit meinen Mitsteitern musste ich diese optimale Ausgangsposition dann noch gegen die Busfahrerfraktion verteidigen. Die lassen sich da ganz gemütlich hochkutschieren, kommen 10 Minuten später an und stellen sich doch glatt neben einen. So nicht! Bitte hinten anstellen! Haben die dann auch gleich eingesehen.

„Wo müssen wir eigentlich hin, um die guten Bilder zu schießen?“ Wusste keiner. „Finden wir schon.“ Endlich ging es los. Nach 20 Metern war dann eine Entscheidung zu treffen: Rechts oder links? Der linke Weg führte weiter nach oben. Gekauft! Ich vorneweg und die anderen hinterher. „Schiebt es nicht auf mich, wenn das der falsche Weg war“, rief ich noch. Aber kein Grund sich zu entschuldigen. Ein paar Stufen mehr und wir standen tatsächlich da, wo wir hinwollten: Blick auf die Ruinen und den Waynapicchu dahinter. Dieses berühmte Motiv, dass jeder schon mal gesehen hat, aber eben nur im Fernsehen oder auf Postkarten. Ein denkwürdiger und sehr emotionaler Moment für mich.

Die Stimmung war großartig. Jeder stellte sich mit dem größten Vergnügen als Fotograf zur Verfügung, um den anderen Gipfelstürmern ihr wohlverdientes Bild mit noch vollkommen menschenleerem Hintergrund zu ermöglichen. Nach der kurzen Fotosession wurde nochmal abgeklatscht und dann trennten sich die Wege. Ich blieb noch eine Stunde an diesem Ort, der sich nun stetig füllte. Aber das war egal. Dieser Moment gehörte mir und all die anderen Menschen existierten für mich nicht. Es war perfekt.

Nach weiteren sechs Stunden verließ ich die Ruinen wieder und war dabei so glücklich und aufgedreht, dass ich die Treppen zum Tal hinunter sogar gerannt bin. Danach musste ich mich dann doch ein wenig ausruhen, denn Kraft haben diese Tage (inklusive des Rückwegs nach Cusco mit erneut zwei Stunden Laufen und sechs Stunden Busfahrt) schon gekostet. Aber das war es wert. Machu Picchu war ein unvergessliches Erlebnis.

These boots are made for walking

Für viele ist eine mehrtägige Trekking-Tour fester Bestandteil einer jeden Reise. Was mich angeht, dachte ich, dass ich ohne Campingausrüstung mit geführten Touren Vorlieb nehmen müsste. Ein paar von dieser Sorte habe ich auch gemacht und, versteht mich nicht falsch, sie waren allesamt große Klasse. Aber es ist doch etwas ganz anderes, auf eigene Faust unterwegs zu sein. Und im Colca-Canyon im Süden Perus ergab sich für mich tatsächlich die Möglichkeit, drei Tage lang ohne Guide und ohne Zelt zu wandern, nachdem ich in den vorangegangenen Tagen eine sehr ruhige Kugel geschoben und in Tacna und Arequipa die Annehmlichkeiten des peruanischen Stadtlebens genossen habe. Eine handvoll kleiner Dörfer im Abstand von wenigen Kilometern bieten einige preiswerte Unterkünfte und somit findet man praktisch immer ein Bett für die Nacht.

Ausgangs- und Endpunkt meiner Route war das 3600 Meter hoch gelegene Cabanaconde. Gleichgesinnte findet man bereits im Bus oder spätestens auf dem Weg und so ging es zunächst in belgischer, später in irischer Begleitung auf die sehr fordernde aber wunderschöne Strecke. An Tag eins ging es fast nur bergab, und das gut sechs Stunden lang. Als Tagesziel wurde Sangalle auserkoren, auch genannt „Die Oase“. Und in der Tat, dieser Name ist verdient. Bei der Ankunft im Dorf findet man sich nicht auf einer Straße sondern unmittelbar in einem Garten mit Pool wieder. Perfekt zum Ausspannen nach einem anstrengenden Tag möchte man meinen. Aber an Tag zwei kam es sogar noch besser. Diesmal führte der Weg meistens ohne größere Steigungen nach Llahuar. Da gibt es auch Wasser zum Planschen. Nur ist es angenehme 39 Grad warm.

Danach konnte er kommen, der letzte Tag mit dem beschwerlichen Aufstieg nach Cabanaconde. Es hätte auch eine Alternative hierzu gegeben: Ein Bus, der einen bequem nach oben bringt und darüber hinaus Zeit gibt, noch einen halben Tag in den heißen Quellen zu entspannen. Ich bin schon sehr stolz auf mich, diese unheimlich verlockende Option nicht gezogen zu haben. Wiederum gut sechs Stunden ging es nun also fast ausschließlich bergauf. Aber kaum ist man angekommen, ist die ganze Quälerei schon wieder vergessen. Zusammen mit meinen irischen Freunden ging es danach mit dem Bus zurück nach Arequipa und das Abendessen in einem französischen Restaurant war das i-Tüpfelchen auf drei herausragenden Tagen, an denen ich einmal mehr malerische Landschaften gesehen, großartige Menschen getroffen und mir selbst bewiesen habe, dass ich körperlich doch noch ein bisschen was drauf habe.