Ice Ice Baby

In El Calafate Halt zu machen, ist, wenn man von El Chalten in Richtung Süden unterwegs ist, fast schon obligatorisch. Benannt ist die Stadt nach einer hier heimischen Beere. Laut einer Legende garantiert der Verzehr der Calafate eine Rückkehr nach Patagonien. Ich habe mir bestätigen lassen, Eis zähle auch und so habe ich mir einen zweiten Patagonien-Besuch bereits jetzt gesichert. Nichtsdestoweniger will man manche Dinge schon diesmal sehen und deshalb wurde eine Tour zur Hauptattraktion der Gegend, dem Perito Moreno Gletscher, gebucht. Was macht den jetzt so besonders? Er ist weder der größte noch der höchste Gletscher, nicht einmal im regionalen Vergleich. Zunächst ist er leicht zugänglich. Touristen mögen so etwas. Gut eine Stunde Busfahrt von El Calafate und schon ist man auf Schlagdistanz. Vom Bus ins Boot und/oder auf wohlpräparierten Wegen einen Rundgang machen und das Panorama genießen. Soweit so schön. Sehr schön sogar. Zugegeben. Da fällt mir auf, ich hab schon lange kein Bild mehr in einem Artikel platziert. Bitteschön …

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Aber damit nicht genug. Der Perito Moreno macht etwas, das kein anderer Gletscher macht. La Ruptura nennt sich das Phänomen. Es folgt ein kleiner Exkurs Geographie: Der Perito Moreno schiebt sich täglich ca. zwei Meter vorwärts in Richtung der Peninsula Magallanes. Kommt die Wand aus Eis dort an, teilt sie zwei ansonsten miteinander verbundene Seitenarme des Lago Argentino. Das unter dem Gletscher fließende Wasser höhlt den Gletscher nach und nach aus und formt so einen Bogen, der aufgrund des Drucks durch das ständige Voranschreiten der Eisfront letztendlich wieder einstürzt. Ich hoffe, das war weitestgehend korrekt und mehr oder weniger verständlich. Dieses Schauspiel ist allerdings sehr selten. Genau lässt es sich nicht vorhersagen. In den 70er- und 80er-Jahren kam es alle vier Jahre zu einer Ruptura. Nach 1988 dauerte es 16 Jahre bis zur nächsten und manchmal ereignete sich das Phänomen in einem zweijährigen Rhythmus. Das ganze Spektakel spielt sich jeweils innerhalb weniger Tage ab.

Wollt ihr raten, was gerade los war, als ich meine Tour zum Perito Moreno gemacht hab? Nein, den Einsturz des Bogens habe ich nicht gesehen. In diesem Moment dabei zu sein, ist ähnlich wahrscheinlich wie ein Lottogewinn. Denn manchmal passiert das ganze mitten in der Nacht unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Aber es war der Beginn des Zyklus und so konnte man in unregelmäßigen Abständen riesige Eisbrocken ins Wasser stürzen sehen. Ja, das ist genauso spektakulär wie es klingt. Überall breit grinsende Gesichte, viele Ahhhh’s und Ohhhh’s aber wie besonders das alles ist, sieht man daran, dass der Tour-Guide, der seit 12 Jahren im Geschäft ist, sich wie jeder andere Touri verhält und pausenlos Fotos knipst. Ein historischer Moment sei das, hat er gemeint. Und ich war dabei. Wahnsinn. Ein unvergessliches Erlebnis.

Abschließend noch ein allgemeiner Kommentar. Neulich bin gefragt worden, wie man das macht, all diese Eindrücke zu verarbeiten. Die Antwort ist eigentlich ganz simpel: Man hat viel Zeit. Stopp. Ich kann hier ja nur für mich sprechen, also: Ich habe viel Zeit. In meinen Berichten kommen natürlich all die tollen Dinge vor, die ich so mache. Aber es ist nicht so dass ich jeden Tag von morgens bis abends Programm mache und dann bis zum Morgen feiern gehe. Es ist auch viel Leerlauf dabei. Sehr oft wartet man und das manchmal auch sehr lange. Und ich rede jetzt nicht von mehr oder minder sinnvollem Rumtippen auf dem Telefon, um sich die Zeit zu vertreiben. Nein, ich meine die reinste Form des Wartens, in der man mit nichts anderem beschäftigt ist als den eigenen Gedanken. Während das normalerweise an den Nerven zehrt, bietet das intensive Nichtstun für mich einen durchaus willkommenen, vielleicht sogar absolut notwendigen Ausgleich zu den vielen neuen und spektakulären Eindrücken und gibt mir Zeit, eben jene nochmal Revue passieren zu lassen. Ihr seht, warten ist wichtig. Ein Hoch auf das Warten. Ein Hoch auf die Langeweile.

Wäre kein schlechter Schluss gewesen und sowas ist mir eigentlich immer ein großes Anliegen. Trotzdem muss ich fairnesshalber anfügen, dass es selbstverständlich auch Momente gibt, in denen man einen Tick zu lange warten muss, es einem irrsinnig auf den Zeiger geht und man sämtliche höheren Mächte (auch die, an die man nicht glaubt) anruft, es möge verdammt nochmal endlich etwas weitergehen. Und was allein schon wieder an Zeit vergangen ist, seit ich diesen Artikel verfasse. Ganz praktisch eigentlich, denn ich … warte … auf meinen Bus nach Ushuaia. Um drei Uhr morgens fährt der und 18 Stunden wird die Reise dauern. Viel Zeit. Nur gut dass ich mir gerade in Erinnerung gerufen habe, wie kostbar diese Zeit doch ist.

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